Veronika Ferres - Interview [2004]


Veronica Ferres wurde 1965 in Solingen geboren. Sie studierte Germanistik, Theaterwissenschaft und Psychologie und hatte ihren Durchbruch als Schauspielerin 1992 mit Helmut Dietls Schtonk, dem Film uber die gefalschten Hitler-Tagebucher. 1997 folgten Das Superweib und Rossini. Zuletzt ubernahm sie auch zahlreiche Charakterrollen in Fernsehproduktionen und spielte bei den Salzburger Festspielen die Buhlschaft in Hofmannsthals Jedermann.


Was bedeutet Gluck fur Sie?
Veronika Ferres: Ich begreife Gluck in verschiedener Hinsicht: als Momentaufnahme, als Anspruch auf das Leben und als Schicksalsmoment, wenn man Gluck gehabt hat. Zum Beispiel als der Anschlag auf die Synagoge auf Djerba vor zwei Jahren war - da waren wir genau zwei Tage vorher an diesem Ort und haben da Urlaub gemacht.

Und wo kommt Gluck im Alltag vor?
Veronika Ferres: Das kann eine Hundertstelsekunde sein, die einen weitertragt, wenn der Tunnel lang und dunkel ist. Ein kurzes Glucksgefuhl gibt mir Kraft, auch andere Anforderungen durchzustehen. Zum Beispiel, wenn ich mit jemandem, den ich liebe, Hand in Hand Freude empfinde.

Und das Gegenteil ...?
Veronika Ferres: Fur mich ist das Schlimmste, wenn Menschen sich von dem Ort, wo sie sind, wegsehnen. Ob das beruflich ist oder in Beziehungen. Es gibt ja diesen Spruch: Ich bin im falschen Film. Das ist grausam, wenn man das standig er lebt.

Kann man fur sein Gluck etwas tun?
Veronika Ferres: Man darf nicht den Anspruch haben, standig glucklich sein zu mussen. Daran scheitern heute viele Beziehungen, weil ein Partner sich uberfordert fuhlt. Ein groses Gluck, fur das man viel tun kann, ist auch die Gesundheit. Der Korper ist ein hohes Gut. Das weis man oft erst, wenn es zu spat ist.

Haben Sie da eigene Erfahrungen gemacht?
Veronika Ferres: Ich wurde vor einiger Zeit durch eine Krankheit so aus der Bahn geworfen, dass ich ganz demutig, ganz reduziert mit allen meinen korperlichen Funktionen wieder bei Null anfangen musste. Seitdem nehme ich vieles nicht mehr als selbstverstandlich hin.

Kann man bei all den gesellschaftlichen Problemen heute noch an eine gluckliche Zukunft glauben?
Veronika Ferres: Wir sind ein Volk der Jammerer. Sicher haben wir viele soziale Probleme, aber es gibt auch genug lebenswerte Momente. Eine Freundin hat mich da zutiefst beeindruckt. Sie ist an Krebs erkrankt, sieht schlecht aus. Wir sasen im Konzert und sie lachte neben mir. Ich habe sie gefragt, wie das moglich ist. Und sie hat mir diesen wunderbaren Satz gesagt: Ich habe nicht nur Krebs.

Das hat viel von dem Kampferischen, das auch in Ihren jungsten Rollen ruberkommt ...
Veronika Ferres: Es gibt den schonen Spruch: Du hast keine Chance, also nutze sie. Das liebe ich: Menschen davon zu uberzeugen, dass das Unmogliche moglich ist. Leben ist fur mich Herausforderung. Ich bin nicht hier, um mich auszuruhen, ich bin hier, um neue Ufer zu entdecken, Grenzen zu uberschreiten, Abenteuer zu bestehen.

Sie haben eine dreijahrige Tochter.
Veronika Ferres: Dass Liebe eine Form von Gluck ist. Wer sich selbst nicht liebt, kann auch niemand anderen lieben. Die christlichen Werte sind schon wunderbar: Respekt vor anderen Menschen haben, teilen zu konnen.

Aber im Alltag macht sie ja sicher oft ganz andere Erfahrungen...
Veronika Ferres: Naturlich sind die im Kindergarten in einem Alter, wo der eine mal einen Kinnhaken kriegt und der andere hier einen Kratzer hat. Das finde ich hoch spannend, wie die das austesten. Wir haben das alles in uns und das spurt man so pur bei einem Kind. Da ist es wichtig, in der Erziehung Grenzen aufzuzeigen.

Sie engagieren sich fur sexuell missbrauchte Kinder. Was war der Anstos?
Veronika Ferres: Kinder sind voller Unschuld,Neugierde und Lebenslust - sexueller Missbrauch zerstort Unbefangenheit, Kindheit und auch Zukunft. Wir kampfen fur die Unversehrtheit unserer Kinder. Wir versuchen sie zu starken und ihnen zu sagen, dass sie nicht alleine sind und dass es Menschen gibt, die ihnen helfen.

Seit 2002 sind Sie Schirmherrin von.
Veronika Ferres: Inzwischen bringe ich die Hälfte meiner Freizeit dafur ein. Wir mussen einer Gesellschaft beibringen, das Thema sexueller Missbrauch zu enttabuisieren. Man stost auf so viele Mauern in allen Gesellschaftsschichten, weil das uberall stattfindet. 80 Prozent der Opfer werden zu Tatern, weil sie nur so das eigene Trauma dieser Demutigung ertragen ko.

Was mochten Sie bewirken?
Veronika Ferres: Wir wollen diesen Teufelskreis durchbrechen. Je fruher man anfangt zu therapieren, je fruher die Kinder lernen, daruber zu sprechen, desto groser ist die Heilungschance. Es gibt viele Frauen, die im Alter zwischen 40 und 50 erzahlen, dass sie Opfer sexuellen Missbrauchs waren. Die feststellen, dass sie dadurch nie eine normale Beziehung fuhren konnten. Dann ist naturlich ein Leben schon halb gelebt.

Sie haben kurzlich eine Kinderbibel von Jorg Zink als Horbuch gesprochen. Wie kam es dazu?
Veronika Ferres: Ich kenne Jorg Zinks Literatur durch meinen Bruder, der Philosophie und katholische Theologie studiert hat und dann die Kartoffelfirma meines Vaters ubernommen hat. Er wollte nicht zolibatar leben. Nun ist er wohl der einzige Kartoffelhandler mit grosem Latinum und Graecum (lacht).

Und was gefallt Ihnen an den Bibeltexten?
Veronika Ferres: Jorg Zink spricht die Sprache der Kinder und erklart Jesu Wunder so,dass Kinder sie annehmen und verstehen konnen. Es ist schauspielerisch naturlich auch sehr schon gewesen, die verschiedenen Rollen zu spielen wie den Jungen, den Esel sowie die Suleika.

Dabei geht es ja auch um Werte. Was kann die Kirche Kindern heute vermitteln?
Veronika Ferres: Dass es sich lohnt, zusammenzubleiben, auch wenn man nicht mit allem einverstanden ist. Man lasst sich doch noch nicht gleich scheiden oder gibt die Freundschaft auf. Ich muss konfliktbereit sein und das Gesprach suchen, anstatt einen Menschen wegzuwerfen wie ein Konsumgut. Das gilt auch fur mein Verhaltnis zur Kirche: Ich habe vieles zu kritisieren, bleibe aber trotzdem drin.

Was bedeutet fur Sie Glaube?
Veronika Ferres: Ein Freund sagt oft zu mir: Du hast es gut, du bist glaubig. Du hast so viel Halt in dir. Ich dagegen kann nicht an Gott glauben in einer Welt, die so und so ist. Fur mich ist der Mann noch viel glaubiger als ich. Weil er so kampft mit Gott. Der setzt sich so damit auseinander - und das ist viel mehr, als wenn man aus Gewohnheit immer in die Kirche rennt.

Und was mochten Sie in puncto Glauben weitergeben?
Veronika Ferres: Fur mich sind Menschen ohne Glauben armer. Es ist nicht so, dass ich glaubig bin, weil es mir hilft, aus Eigennutz oder Egoismus, sondern aus tiefster Erfahrung. Durch den Tod meiner Mutter habe ich eine Form des Glaubens wiedergefunden, die ich nicht fur moglich gehalten hatte.

Was hat sich da geandert?
Veronika Ferres: Als meine Mutter in meinen Armen gestorben ist, habe ich gemerkt, da geht etwas Unbeschreibliches, ganz Groses weiter. Ich habe eine Kraft gespurt, die mich seitdem begleitet. Da war ganz viel Klarheit. Die Seele trennt sich vom Korper und bleibt da - fur immer.

Haben Sie Angst vor dem Tod?
Veronika Ferres: Ich habe immer noch Angst vor dem Sterben, denn Sterben kann grausam sein, schmerzhaft und demutigend. Aber vor dem Tod nicht mehr.

Und wenn Sie eine Vision fur ein gluckliches Leben im Alter entwickeln ...?
Veronika Ferres: Mit meinem Mann Hand in Hand im Rollstuhl irgendwo in einem schonen Altersheim im Suden rumzufahren. Noch den Augenblick leben zu konnen. Wie es Tucholsky gesagt hat: Erwarte nichts. Heute, das ist dein Leben.